»Ein Birnbaum in seinem Garten stand/und kam die goldene Herbsteszeit/ Und die Birnen leuchten« im 19. Jahrhundert, dies schrieb Fontane, der in der deutschen Volksballade eine naturmagische Idee formuliert: ein alter Herr beschenkt alle Mädels und Jungen mit Birnen, und dies lobesam noch über den Tod hinaus. Darin liegt die interkulturelle, menschliche Vorstellung vom Kreislauf des Lebens, der Sicherheit gibt, verwurzelnd ist … An welche Birnensorte und welchen knorrigen Obstbaum wird der Dichter Fontane gedacht haben?
Damit sind wir bei alten Obstbäumen und kommen leicht auf den Gedanken an den (Birnen-)saft und die im Jahr 2007 gegründete Saftmanufaktur Kerstin Lieber, die südlich vom Havelland liegt, in der Nähe Leipzigs und um die 160 km entfernt von Berlin. Hier lebt und arbeitet Kerstin Lieber, mit ihrer Familie. Die Unternehmerin und Mutter von drei Kindern hat sich nach Ihrem Studium an Berlins Humboldt-Universität zur praktischen Arbeit für das Obst entschieden …
Und Ihre Arbeit bringt Vergnügliches, starten wir zum Beispiel mit fruchtigsüßem, vollaromatischen Birnensaft. Persönlicher Favorit der Chefin ist die Birne im Saft Köstliche von Charneau »Wie der Biss in eine Birne! Unglaublich intensiv!« Wobei sich Kerstin Lieber gleichermaßen begeistert für den Lausitzer Nelkenapfel oder Rheinischen Bohnapfel, die Goldrenette aus Blenheim wie Kaiser Wilhelm, oder, um auf die Birne zu kommen, Gellerts Butterbirne wie die Gräfin von Paris …
Das Obst stammt von knorrigen Bäumen eigener Streuobstwiesen, die im Frühling blühen und jetzt den eigenen Geschmack im Saft entfalten. Und natürlich ist‘s ein Unterschied, ob Jakob Lebel im Glas ist oder Madame Verte … Ins Sortiment kommen außerdem spannende Mixturen: Septemberliebe – Jakob Fischer umarmt Rote Bete (80%/20%) – Oktoberliebe – Kaiser Wilhelm tanzt mit Quitte (70%/30%) – Novemberliebe – Ontario küsst Madame Verte (50%/50%).
Auch das Ernten ist für Kerstin Lieber eine Freude, »die Bäume von ihrer Last befreien, den beladenen Ästen wieder ihre Biegsamkeit geben und duftende, reife Früchte in üppigen Mengen sammeln – ich liebe das!« Die Bäume werden meist geschüttelt, drei bis vier Fleißige helfen ihr bei der Ernte. Die Verarbeitung zu hervorragenden Säften verlangen Fachwissen, Körpereinsatz, Geschick und sorgfältige Verarbeitung. Die Unternehmerin liebt die praktische Arbeit, den einfachen Prozess vom Festen zu Flüssigen. Jede Charge frisches Obst wird separat gewaschen, gemahlen, gepresst in einer Packpresse, pasteurisiert und in eine praktische 3, 5 oder 10-Liter Bag-in-Box abgefüllt. Der Saft ist in diesen Bag-in-Box ungeöffnet mindestens ein Jahr haltbar und im geöffneten Zustand 2–3 Monate.
Wie auch beim Wein bestimmt die Qualität der Früchte die mögliche Saftqualität. Kerstin Lieber kann ausschließlich sauberes, erntefrisches und reifes Obst verarbeiten, bei den Birnen hartreife Früchte. Höchste Qualitätsansprüche an die Rohware gelten für jede Verarbeitung, auch bei der Möglichkeit, geerntetes Obst ab einer Menge von 100 kg in die Manufaktur zu bringen. Kerstin Liebers Säfte sind oft sortenrein, übrigens immer vegan, und naturbelassen wie naturtrüb. Trübungsstabilisatoren, damit’s schön gleichmäßig aussieht, kommen bei ihr nicht in den Saft.
So ist Kerstin Lieber immer auf der Pirsch nach Obstfreunden, die Ihren alten Baumbestand erhalten und Früchte ernten, deren Zukauf ihr Saftangebot ermöglicht und erweitert: Apfel, Birne, Quitte … Sie sucht keine ertragsreiche Sorten, wie sie in zumeist in Niederstammplantagen kultiviert werden. Nein, Kerstin Liebers Passion gilt »ihren« Hochstämmen ab ca. 1,80m, wie sie die Landschaft prägen und zur Kultur gehören. Unter Ihnen kann Rindsvieh weiden, eine mehrfache Nutzung ist natürlich. Tatsächlich ist sie’s immer seltener und überhaupt nur dank Menschen wie dieser Safthandwerkerin, die sich einsetzten für den Erhalt einer Artenvielfalt und ökonomischen Balance, die höchstgefährdet ist. Denn allzu oft werden die schwierig zu bewirtschaftenden, eigenwilligen Obstsorten nicht angepflanzt und sogar abgeholzt, weichen Modepflanzen wie Koryphäen: »Die Menschen haben den Bezug verloren, es heißt nur noch ›der Apfel‹. Aber in der letzten Zeit kommen auch junge Menschen, die sich erst an die Äpfel ihrer Kindheit erinnern, und dann ganz besonders dafür interessieren, wie Äpfel in ihrer Kindheit schmeckten: einen Apfel, den’s bei ihrem Opa gab, der ganz groß war, duftete und aromatisch und gar nicht sauer war – was war das?« Vielleicht der Apfel Jakob Fischer, ein großer Apfel, der im gleichnamigen Lieber-Saft fruchtigmild schmeckt. Lagerfähig ist die Sorte indes nicht, nach 3 Wochen werden sie mehlig, sind daher nicht effizient verwertbar und bald aus der Esskultur verschwunden, wenn wir uns auf die Lebensmittelindustrie verlassen.
Wer Kerstin Liebers bunte Saftboxen mit praktischen Füllhähnen ins Haus holt, denkt weiter und verlässt sich auf Besseres. Nebenbei, die bunten Boxen sind geprägt von einem Motiv der Künstlerin Ulrike Hirsch, die einen Baum in allen Jahreszeiten gemalt hat; der Baum im Herbst wurde grundlegendes Motiv für die Saftverpackungen. Die Gestaltung war eine Idee von Kerstin Lieber, die überdies kunstinteressiert ist, gerne in Leipzigs Kulturleben reinschnuppert, solange das eigene kreative Handwerk still stehen kann.
Und eine eigene Saftbox bekommen alle, die dazu ihr Obst aus dem Garten anliefern: Der eigene Baum steht so auf dem Tisch! Dieser Kreislauf fasziniert Kerstin Lieber: »Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem kalten Wintertag mit einem Glas Apfelsaft in der Hand am Kamin. Sie schauen aus dem Fenster und sehen den Apfelbaum in Ihrem Garten, aus dessen Äpfeln Sie gerade den Saft trinken. Und während Sie jeden Schluck genießen, erinnern Sie sich, wie er im Frühling ein einziges Blütenmeer war, an die vielen schönen sommerlichen Stunden in seinem Schatten und die reiche Ernte im Herbst.« Immer wieder treiben die Bäume aus, bringen Früchte, werden gelbbunt, verlieren Laub … ein Kreislauf des Lebens. Diese bewusste Teilnahme an der uns umgebenden Welt in ihrer Artenvielfalt und die Lust am Sinnstiften sind, was Kerstin Lieber getrieben hat, sich mit der Gründung Ihrer Saftmanufaktur 2007 der Verarbeitung regionalen Obstes zu widmen – und dies immer bewusster.
Konsequent stellt sie so das Unternehmen auf biologisches Wirtschaften um. Erste Arbeitsergebnisse dieser Apfelarbeit zur Verkostung: die biozertifizierten Säfte vom Altländer Pfannkuchenapfel, vom Weißen Winterglockenapfel, von den Slow Food Arche-Passagieren Jakob Fischer, Finkenwerder Herbstprinz. Weil‘s dem Denken und Arbeiten der Saftmanufaktur Kerstin Lieber entspricht, unterstützt sie die Initiative Vergessene Vielfalt – Streuobst aus Sachsen und Slow FOOD. Schließlich haben sich all diese Initiativen einem gesellschaftlichen Anliegen verschrieben, wollen LebensMitteln, wollen handwerklichen Produkten unserer Kultur wieder eine größere Wertschätzung beimessen. Letztlich ein übergreifender und universeller Gedanke. Und wenn Fontane da schrieb: »So flüstert’s im Baume: »Wiste ‘ne Beer?«/Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: »Lütt Dirn,/Kumm man röwer, ick gew’ di ‘ne Birn.«, dann lässt sich ans positive Weiter des Lebens denken. Freilich auch ganz pragmatisch daran, dass Birnen- und Apfelsaft nicht nur von 16.00–18.00 Uhr in Kerstin Liebers Papsdorfer Firmensitz direkt abzuholen und zu bestellen sind und in ausgewählten Restaurants und Cafés ihre festen Plätze erobert haben. Sondern jetzt auch bei LeViArte vertreten sind, aus Röwer, konkret Rüber – ihren Weg fortsetzen, eine neue Etappe beginnen und bei Ihnen ankommen können.