Hof Gandberg

Es ist August, voller Sommer, und ich bin unverhofft angekommen nach wenig schwindelfreiem Reiseweg. Hier in Italien, oberhalb von St. Michael in Eppan: Ein Haus am Gandberg. Rebstöcke, Pfirsichbäume, ein waldiger Streifen … Hühner, Enten, blühende Beete und Bäume, gepflegte Wildheit – ein poetischer, idyllischer Ort. Und ich habe an diesem sonnigen Augusttag meinen Fuß tatsächlich auf den Boden an jenem des mächtigen Gandbergs gesetzt, im Umkreis der mehrsprachigen Stadt Bozen. Dies ist das Terroir des Biolandbetriebs und Slow Food-Unterstützers Hof Gandberg; ein Ort, der mir nahekommt.
Wer den Weg in den Weinberg findet, darf durch recht hohe Gräser mitgehen und zuhören. Ein großes Wissen hat der junge Winzer Thomas Niedermayr, der auf höfliche Art zurückhaltend und selbstsicher ist.

Um uns wächst erstaunlich viel Wildkraut, um gesunde Rebstöcke herum. In einigen Rebzeilen werden Trauben mit Moskitonetzen geschützt. Weiter auf der rechten Seite hinter dem Haus liegt eine frühe Pflanzung seines Vaters Rudolf: Pinot Bianco, Weißburgunder. Thomas schätzt sie, und dennoch bewurzelt der weiße Burgunder nur einen kleinen Anteil der zwei Hektar Rebfläche, die arrondiert um den Hof gruppiert sind und um weitere in der umgebenden Region verstreute 3 Hektar ergänzt werden. Die Stars dieser Rebzeilen am mächtigen Gandberg heißen Piwis. Sogenannte pilzwiderstandsfähige Sorten sind das, die nicht befallen werden von den Pilzkrankheiten im Weinbau. Früher galten die Sorten als geschmacklich schwierig – die Entwicklung ist aber längst weiter und Thomas Niedermayr ihr voran. Warum Piwis? Thomas erzählt von der Krise des europäischen Weinbaus Mitte des 19. Jahrhunderts. In den Weinbaugebieten grassierten Pilzkrankheiten – die Antwort auf sichere Erträge schien im chemischen Pflanzenschutz zu liegen. Doch einige Wildreben – vor allem in Amerika und Asien – überlebten ohne chemische Hilfe. Wie? Sie hatten über Jahrmillionen Resistenzen entwickelt. Durch Zufälle und Pionierleistungen kluger Weinköpfe konnte die Europäische Rebe vitis vinifera mit den pilzwiderstandsfähigen Sorten so gekreuzt werden, dass die neuen Pflanzen fortan den Pilzen trotzen.
Den größten Teil der Gandberg‘schen Rebfläche bewurzeln als weiße Sorten Solaris, Bronner, Souvignier gris und Muscaris, als rote werden Cabernet Cantor und Cabernet Cortis angebaut. Zudem wird experimentiert …Vater Rudolf bleibt Tüftler und ›Bionier‹, züchtet beharrlich wie besessen in freien Stunden selbst pilzresistente Weinpflanzen heran. Das ist Pinzetten-Arbeit, die oft nicht einmal Früchte trägt, das Ergebnis spannungsvoll offen.
Thomas Niedermayr ist immer wieder begeistert von dem, was die Natur schafft, glücklich darüber, was PIWIs leisten, wenn es viel regnet und die Luft besonders feucht ist. Denn das sind ideale Bedingungen für Pilze – andere Reben gehen ein ohne Hilfe, die Piwis wissen sich selbst zu helfen: »Es ist ja nicht so, dass die Pilze auf PIWIs nicht gedeihen, aber sie haben nicht lange eine Chance: Die Rebe zieht dort, wo sich ein Pilz breit machen will, alle Nährstoffe zurück und isoliert den Angriffspunkt. Ergebnis: der Pilz wird ausgehungert. Die Blätter zeigen kleine Narben der erfolgreichen Schlacht: winzige braune runde Flecken.« Der Sieg gilt natürlich dem Wein. Piwis gehören hier zum Plan. Halt, welcher Plan bei all den wilden Kräutern? Ja, im hiesigen Mikrokosmos schreibt sich vieles im Plan des Kosmos ein – »Nur in einer gesunden Umgebung kann Gesundes wachsen.«
Thomas Niedermayr denkt im revolutionären Geist der Familie weiter: Landwirtschaft und Natur sei eines nur – so träumte sein Vater und begann Mitte der 1980er Jahre mit biologischem Wirtschaften. Bioland-Mitglied ist Hof Gandberg jetzt seit 1991, ein Jahrzehnt davor waren die ›Bios‹ als realitätsfern verrufen. Für Familie Niedermayr war und ist die Idee umgesetzt: in einen umfassenden biologischen Betriebskreislauf mit Obst- und Gemüseanbau, Tierhaltung und Weinbau.
Die Familie versorgt sich so weit als möglich selbst. Sogar zwischen den Reben werden neuerdings Roggen und Mais geerntet – aus ersterem entsteht Brot, aus letzterem Maisgrieß, und daraus dann eine sämige Polenta. Wie gut, dass im Gemüsegarten Zucchini, Tomaten, Auberginen wachsen, und die Hühner zudem Eier legen. Je nach Ertrag lässt sich all das weiterverkaufen. Und ein Huhn kann nach viel Glück auch schon mal das Unglück haben, auf dem Teller zu landen oder vom Raubvogel geholt werden. Die Kreisläufe sind natürliche: Womit wir wieder bei den Wildkräutern stehen bleiben …
»Schließlich ist Natur die höchste Form von Qualität.« Gründüngung lautet das Prinzip: »Ich mache jedes Jahr Einsaaten, so gedeihen Luzerne, Steinklee, Futtermalve, Hülsenfrüchte, die Bienenweide Phacelia und Sonnenblumen; die manchmal sogar gleich hoch wachsen wie die Reben«, erklärte er. Diese Bio-Vielfalt kommt den Rebanlagen zugute. Sie sorgt dafür, dass die Reben über die Nährstoffe aus dem Boden verfügen können. Gelegentlich wird der Einsatz von Schwefel, gängiges biologisches Mittel, nötig. Doch das Düngen fällt aus, ein natürlicher Kreislauf entsteht.
Die Rebanlagen, die rund um den Hof auf einer Höhe von 500 bis 530 Metern liegen, sind von dem spezifischen Kleinklima der Eislöcher und vom Gandberg beeinflusst, der sich im Hintergrund als imposantes Felsgebilde abzeichnet. Im Boden stecken Porphyr – ein rötliches Gestein – und zudem weißen Kalkstein. Aus diesem »gewachsenem« Boden, kann und muss sich die Pflanze ernähren.
Viel Arbeit ist das, zumal ja die Pflege und der Rebschnitt unbedingte Winzerpflicht sind. Erst im Winter, wenn Ruhe ist, hat Thomas Zeit, Verpflichtungen Wahrzunehmen, Einladungen zu Weinmessen zu folgen und Kollegen und Experten zu treffen, neue Eindrücke zu gewinnen.
Entwicklung braucht Zeit. Auf ein breites Fundament an Erfahrungen gebaut, stieg Thomas so ab dem Jahre 2010 schrittweise in den Betrieb ein und übernahm 2012 die Unternehmensführung. Mit dem Wechsel ging die Weiterentwicklung und Perfektion im Weinanbau und Ausbau weiter und hin zum Naturwein, von dem heuer 20.000 Flaschen produziert werden. Der Elan präsentiert sich im Gesamtauftritt des Weinbaubetriebes: In Zusammenarbeit mit Grafikern entstand das Etikett mit Logo und farbenfrohen Muster. Das Muster umschreibt mit Farbe und Form die Aromatik des Weins, schließlich drückt die großformatige Zahl darauf das Pflanzjahr der Reben aus und erzählt so eine Geschichte vom Ursprung. Und hinter dem natürlich mit Jahrgang und Sorte oder Cuvée versehenem Etikett verbirgt sich dann oft eine eigene Züchtung des Vaters. Dessen Gedanken setzt Thomas auch im Keller konsequent um, wo die Weine viel Zeit zum Werden bekommen. Die Naturweine sind reine Weine ohne Filtration; mit kurzer Zutatenliste: gesunde, reife Trauben, geringe Schwefelung.
Seit 1993 wird auch am Hof eingekeltert. Just im Winter 2017 wird die Kelterei sogar neu gebaut. Damit lässt sich der gesamte Werdegang zu begleiten, von der Traube bis in die Flasche.
»Es ist dieser Moment, der nach der Ernte passiert. Wenn die handverlesenen Trauben ihren Weg in den Keller finden und ich darauf warte, dass sie auf eine natürliche Art und Weise – ganz ohne Einsatz irgendwelcher zusätzlicher Mittel – zu blubbern beginnen. Das bedeutet, dass die Gärung begonnen hat. Manchmal geschieht das schon nach einem Tag. Einmal aber, habe ich ganze 10 Tage auf diesen Moment gewartet. Diese Spannung war nicht auszuhalten. Ich bin jeden Morgen gleich als allererstes in den Keller gerannt, um zu sehen, ob es jetzt losgeht!«
Wo andernorts produziert wird, entwickelt sich hier Fruchtiges, Harmonisches, Würziges, ein eigener Ausdruck, im Vertrauen in die Entwicklung der Weine. Sie sollen »ausstrahlen, was ihren Entstehungsprozess begleitet und lenkt: Ruhe und Entspannung, Tiefgang und die Kraft der Natur, Leichtigkeit und die Freude am Genuss.« Damit sind ›Ecken und Kanten‹ in unserem Glas, Ungewohntes und Neues – die Geschichte vom Leben. Möge es Poesie und Wahrheit sein, an diesen Ort zu ziehn, zur Überzeugung der Familie Niedermayr zu kommen, die ich gerne mittrage: »Wir verfolgen ein alternatives und nachhaltiges Konzept, in dem nicht Gewinnmaximierung, sondern Werte im Vordergrund stehen.«